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Behinderteninstitutionen überlegen Referendum

Die Leiter von Behindertenwohn- und werkheimen überlegten an einer ausserordentlichen Versammlung, wie sie sich gegen die drohenden Sparmassnahmen des Kantons wehren können. In Reichweite ist das Referendum.

MICHAEL WALTHER
«Ich kann nicht verstehen, dass man vier Millionen Franken für die maroden FCSG-Unternehmungen aufwendet, während man uns soeben angedroht hat, dass wir in den nächsten Jahren Millionenbeträge sparen müssen», sagte Peter Hüberli, Präsident der Insos/Visg, des Vereins der sozialen Institutionen für Menschen mit einer Behinderung des Kantons St.Gallen, am Dienstag Nachmittag an der ausserordentlichen Mitgliederversammlung im Altstätter «Rhyboot».

Ein Mitglied relativierte: «Es geht nicht darum, ob man für oder gegen Fussball ist. Aber am einen Ort hat man Geld, am andern wird gespart. Das kann man den Bürgerinnen und Bürgern nicht erklären.»

Sparbeitrag wenn nötig leisten
Was war geschehen? Im Sommer hatte der Leiter des Amts für Soziales allen Behinderteninstitutionen im Kanton angekündigt, sie müssten im Rahmen der Verzichtsplanung fünf bis zehn Prozent sparen. Das entspricht fünf bis zehn Millionen Franken.

Die Vereinigung hatte ein Argumentarium erstellt, veröffentlichte einen Medienartikel und berief die ausserordentliche Mitgliederversammlung ein.

Die Zahl der Anwesenden zeigte förmlich, wie sehr die Sparrunde den Mitgliedern – die meisten von ihnen Institutions- und Werkstättenleiter – unter den Nägeln brennt. Allein, die Versammlung war nicht generell gegen das Sparen. Die drohenden Sparmassnahmen wurden durchaus kontrovers diskutiert.

«Wir könnten den einzusparenden Betrag auf zwei Jahre verteilen und die weniger dringlichen Investitionen zurückstellen», schlug ein Mitglied vor. «Jetzt ist alles noch im Nebel; die Unsicherheit, wo wie viel gespart werden muss, ist natürlich Gift fürs Arbeitsklima. Aber ich würde doch kommunizieren, dass wir unseren Sparbeitrag leisten, wenn er wirklich nötig ist – wenngleich nicht im vorgeschlagenen Umfang», sagte ein Heimleiter.

Kanton kein zuverlässiger Partner
Gleichwohl wurde dem Kanton Konzeptlosigkeit vorgeworfen. Das ausgearbeitete Behindertenkonzept des Kantons liege eben erst beim Bund zur Beurteilung durch den Bundesrat. Doch nun würden mit den Sparmassnahmen geplante Ziele bereits zunichte gemacht, womöglich solche, die einen Spareffekt enthielten, etwa der weitere Umstieg von stationären auf ambulante Angebote.

«Der Kanton versprach im Abstimmungskampf über den Neuen Finanzausgleich, den Anforderungen im Behindertenbereich gewachsen zu sein. Nun kürzt er als Erster die Gelder, kaum ist die Übergangsfrist abgelaufen.

Damit ist er für uns kein verlässlicher Partner», so Christian Gertsch, Vorstandsmitglied sowie Direktor des Wohnheims Landscheide in Wald-Schönengrund. Dass St.Gallen bislang als einziger Kanton in diesem Bereich spare, führe interkantonal zu Ungerechtigkeiten.

Sparen überhaupt nötig?
In Frage gestellt wurde insbesondere, ob die Sparmassnahmen im vorgesehenen Umfang überhaupt nötig sind. Die Einnahmen 2010 der Stadt Gossau liegen 7 Prozent über Budget, sagte ein Trägerschaftspräsident einer grossen Einrichtung in St. Gallen «Ich bin sicher, dass dies beim Kanton auch der Fall ist.» Dass der Kanton seine Sparziele revidieren muss, findet auch Peter Hüberli: «Wenn der Kanton besser als budgetiert abschneidet, muss er auch sein Sparziel von 72 Millionen um den entsprechenden Betrag reduzieren, statt einfach über alle Bereichen mit dem Sparrasenmäher zu fahren.»

Einbusse an Lebensqualität
Rund 80 Prozent im Behindertenbereich betragen die Personalkosten. «Wenn ich beim Personal fünf bis zehn Prozent spare, habe ich ein Heim wie früher: Die Leute haben zu essen, ein Dach über dem Kopf und sind sauber. Aber am Abend, für sinnvolle Freizeitgestaltung und Förderung reicht es nicht mehr.» Damit könne man leben. «Aber die Frage ist, ob man damit leben will», sagte ein Geschäftsleiter.

Er habe das Haus sowieso voll, weil in der Nähe kein anderes Angebot bestehe. «Aber im Arbeitsbereich gibt es einen Markt. Wenn ich dort an Personal und Vorarbeitern spare, fällt die Produktivität in den Keller. Dann ist das Einnahmenloch am Schluss viel grösser als das, was ich eingespart habe. Die Verantwortlichen beim Kanton machen da einen Riesendenkfehler.»

Bereits 2003 eine Sparrunde
Insbesondere verärgert sind die Behinderteninstitutionen, weil sie schon 2003 eine Sparrunde des Bundes von 15 Prozent über sich ergehen lassen mussten.

«Aus unserer Sicht ist das Sparpotenzial ausgereizt. Wir können nicht länger zum gleichen Preis dieselben Leistungen aufrechterhalten», so Christian Gertsch. «Wir fragen uns echt, ob wir die Verantwortung unter diesen Umständen noch tragen können oder nicht einfach alles dem Kanton abgeben sollen.»

Handlungsfelder definiert
Die Anwesenden definierten in der Folge Möglichkeiten, aktiv zu werden. «Die Kantonsrätinnen sollen selber ins Heim kommen und den Bewohnern sagen, wo sie sparen würden», sagte ein Heimleiter.

Ein Aktionstag Behinderung wurde vorgeschlagen sowie eine Demonstration an einem Donnerstagabend in St.Gallen. «Wir behindern euch, wenn ihr uns behindert», mahnte ein Heimleiter. Schliesslich sei ein Bedarf an neuen Wohn- und Arbeitsplätzen für Behinderte ausgewiesen, die nun aber nicht geschaffen werden könnten.

Radikaler noch war der Vorschlag von Präsident Peter Hüberli: «Wenn die Sparmassnahmen so durchkommen und gleichzeitig vier Millionen für die Stadion-AG verlocht werden, ergreifen wir das Referendum.»

Als erster Schritt soll aber noch auf Meinungsbildung gesetzt werden. Insbesondere sollen vor der Septembersession des Kantonsrats die Parlamentarierinnen und Parlamentarier sensibilisiert werden, die den Institutionen in den jeweiligen Regionen nahe stehen.

 

St.GallenSt.Gallen / 08.09.2010 - 13:29:09